Eine "gute Mutter" sein?


Eine "gute Mutter" sein – wie geht denn das?

Vielleicht werden Sie nach allem, was Sie hier bisher gelesen haben, stöhnen und sagen: "Also bin ich wohl keine gute Mutter – denn ich konnte es ja von meiner Mutter nicht lernen und mache so viel falsch."
Wenn Sie an diesen Punkt gekommen sind, haben Sie allerdings den ersten Schritt zur Veränderung bereits getan: und das ist die Einsicht:  die Bereitschaft,  Probleme erst einmal zu sehen.

Der zweite Schritt, um die eigenen mütterlichen Fähigkeiten zu verbessern, ist die Selbstvergebung !

Ja, sie lesen richtig – zuerst und vor weiterer Entwicklung ist es wichtig, dass Sie begreifen, dass Ihr mütterliches Fehlverhalten nicht Ihre eigene Erfindung ist, sondern vor dem Hintergrund einer Gesellschaft entstanden ist, die Mütter geschwächt, entfremdet und hoch belastet hat.

Das heißt, Sie sind nicht ursächlich Schuld an dieser Misere! 
Allerdings sind Sie dennoch in der Verantwortung – denn es geht um Ihr Kind und um Ihr Verhalten.

Das ist kein Widerspruch: die Entwicklung unserer Kultur fand vor unserer Geburt statt, wir sind in diese hinein geboren. Wir haben also diese Zivilisation und ihre Gewalt nicht erfunden oder aufgebaut – und kommen dennoch um die Verantwortung für unsere Fehler, die wir dann selbst als handelnde Menschen in dieser Kultur gemacht haben, nicht herum.

Ein Beispiel:  Eine junge Mutter – ich nenne sie mal Sandra - wuchs in einer Familie auf, wo körperliche Gewalt der Normalfall war.
Der Vater schlug die Mutter, die Mutter schlug die Kinder, die älteren Kinder schlugen die jüngeren Kinder – und die Jüngsten quälten die Katze...
Nun selbst Mutter geworden fällt Sandra bei jedem Konflikt mit ihrem kleinen Kind nur eine Lösung ein – die erlernte Gewalt.
Hier ein Klaps auf den Po, dort ein Schlag auf die Finger, dann auch mal eine Ohrfeige....
Irgendwann wird Sandra bewusst, dass dies nicht der richtige Weg sein kann – und dann sprach sie sogar eine Nachbarin an und drohte, dem Jugendamt Bescheid zu geben.
Sandra ist erschrocken – da in ihrer Herkunftsfamilie viel mehr und brutalere Gewalt herrschte, war ihr anfangs nicht bewusst, dass auch ihre Formen der körperlichen Strafen bereits fragwürdig waren. Sie schämt sich, fühlt sich schuldig und unfähig.
Doch was kann sie nun tun...

Wie gesagt:
Einsicht in das Fehlverhalten ist der erste Schritt zur Veränderung! Dieser Schritt ist sehr wichtig und gelingt nicht jeder Mutter. 

Der zweite Schritt ist, zu verstehen, dass die Schuld für erlernte Gewalt in einem System der Gewalt liegt und nicht in der Mutter selbst.
Unter sozial gesunden und liebevollen Bedingungen schlägt und misshandelt keine Mutter ihr Kind! 

Der dritte Schritt ist, dennoch für das eigene Fehlverhalten die Verantwortung
zu übernehmen –  wer sollte es sonst tun? 

Und das bedeutet für Sandra: Sie muss umlernen, neue Verhaltensweisen erlernen und außerdem überlegen, wie sie den Folgen ihres Verhaltens Rechnung tragen kann.
Hat ihr Kind vielleicht schon Schaden davon getragen?
Wie kann die Belastung der Mutter-Kind-Beziehung im Nachhinein wieder geheilt werden? In diesem Fall ist es vielleicht notwendig, fachliche Hilfen, wie Erziehungsberatung, in Anspruch zu nehmen.

Auch ein Buch über Erziehung zu lesen kann hilfreich sein: Als Ratgeber empfehle ich 
oft die Reihe "Das Elternbuch" und besonders das schöne Buch von Barbara Coloroso "Was Kinderseelen brauchen" sowie von Steve Biddulph "Glückliche Kinder".

Der vierte Schritt – parallel zum dritten Schritt - ist die Heilung der eigenen Person, der eigenen Verletzungen, welche durch eine belastete Kindheit entstanden sind.
Das ist natürlich nicht von heute auf morgen machbar, sondern ist eine Entwicklung, die unter Umständen den gesamten Lebensweg begleitet – was jedoch nichts Schlechtes bedeuten muss. 
Wollen wir nicht alle uns weiter entwickeln, wachsen und zu unserem "bestmöglichen Selbst" finden?
Auch hierbei kann es notwendig sein, professionelle Hilfe in Form von Beratung, Soziotherapie oder Psychotherapie zu nutzen. 
Außerdem gibt es Möglichkeiten über Gespräche mit Freundinnen, durch Frauenkreise, spirituelle Übungen und Rituale, wie sie auch in diesem Blog/Buch zu finden sind, 
weitere Heilung zu finden.
(Beachten Sie dazu auch meinen Artikel, Übungen: "Sich selbst eine gute Mutter sein")

Was sind wohl Qualitäten einer guten Mutter – aus der Sicht der (kleinen) Tochter und von ihren Bedürfnissen her gesehen?
  1. Die Mutter selbst – ihre positiven Selbstbeziehungen
  2. Die Tochter als Priorität – für das Kind da sein
  3. Schutzraum geben für Wachstum - in welcher Kultur lebt sie?
  4. Loyalität – Vorrang vor anderen Beziehungen, z.B. der zum Mann/Vater
  5. Lebenslange Bindung und Beziehung

(Bitte beachten Sie: Im Folgenden meine ich mit "gute Mutter" keine konkrete Person, sondern die optimale Vorstellung, das Ideal, einer für die Tochter gute Mutter.)

Zu 1. Eine "gute Mutter" empfindet und lebt positive Selbstbeziehungen – sie achtet sich und sorgt für sich. Sie ist an ihrer eigenen Person interessiert, schützt ihre Würde und ihr Wohlbefinden, und fördert Lebensfreude und Entwicklung. 
(Das alles kann leider nicht auf viele Mütter in unserer Kultur zutreffen - denn bereits im Bereich "positive Selbstbeziehungen" wird es für die meisten Frauen heute schwierig. Daher nicht verzagen - wenn Sie mit ständigen Selbstzweifeln, Versagensängsten und Selbstabwertung leben - sind Sie in guter Gesellschaft. Und - freuen Sie sich darauf, das zu ändern und den stolzen Weg zu Befreiung, Würde und Selbstachtung zu gehen! Mehr dazu finden Sie in diesem Blog.)

Zu 2. Gleichzeitig behandelt die "gute Mutter" ihre Tochter als Priorität – sie weiß, dass ihre Tochter bedürftiger, auch schutzbedürftiger, ist als sie selbst und übernimmt die Verantwortung für ihr Kind.                                                                                                    Zu diesem Zweck ist sie bereit, oft – aber nicht ständig – eigene Bedürfnisse zurückzustellen und auf manches zu verzichten.
Sie erkennt die Bedürfnisse eines (kleinen) Kindes oder bemüht sich darum, sie zu erkennen. Und versucht diese kindlichen Bedürfnisse zu erfüllen - was in unserer Gesellschaft jungen Müttern aktuell nicht leicht gemacht wird. 
(Lesen Sie dazu auch meinen Artikel "Mütterleben heute - und die Folgen". ) 
(Zum Thema der Abwägung von kindlichen Bedürfnissen ein aktuelles Beispiel:            So sehe ich frühe Krippenbetreuung mehr als kritisch - ich lehne sie als Regelfall für Kinder unter zwei Jahren ab. Wenn es den Bedürfnissen von einjährigen Kindern entspräche, jeden Tag viele Stunden von ihren Müttern getrennt zu sein, so würden sie uns das durch ihr Verhalten zu Verstehen geben.                                                                      Das Gegenteil ist jedoch der Fall - freiwillig verlassen die Kleinen ihre Mütter nicht.  Und  es werden Bücher geschrieben darüber, wie wir die Kleinen dazu bewegen können, sich mit der Trennung abzufinden.  Für wen soll das gut sein?  Wessen Bedürfnisse sollen hierbei erfüllt werden?* 
Wir erzeugen auf diese Weise - so meine Meinung und Erfahrung - Menschen, die Bindungs- und Beziehungsstörungen entwickeln und ein geschädigtes Selbstwertgefühl. 
Auch dem Bedürfnis vieler Mütter entspricht diese Situation nicht - doch etliche getrauen sich nicht einmal, ihr Unbehagen, ihre Sehnsucht nach dem Baby, ihre Trauer wahrzunehmen - oder gar zu formulieren.  Und etliche Mütter gehen nicht freiwillig früh wieder in die Berufsarbeit - sondern weil die finanzielle Not sie treibt oder weil sie selbst ein schwaches Selbstwertgefühl haben - und glauben oder erleben (!), dass sie nur durch Berufsarbeit und Karriere Anerkennung und Erfüllung finden. Die Selbstverständlichkeit, mit der von heutigen jungen Frauen erwartet wird, dass sie Kinder mal "eben nebenbei" bekommen und diese dann auch schnell wieder hinter den Beruf zurück stellen, ist ein Ausdruck der lebens- , kinder- und mütterfeindlichen Atmosphäre unserer Kultur.
(Lesen Sie zu diesem Thema das aufschlussreiche Buch von Jean Liedloff  "Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies"!)

Zu 3. Es war und ist stets Aufgabe der "guten Mutter" ihrer Tochter den Raum für Wachstum und Entwicklung zu geben bzw. diesen Raum der Tochter vor Angriffen von außen zu schützen. 
(Ob ihr dies allerdings gelingen kann ist stark davon abhängig, in welcher Kultur sie lebt – optimale Bedingungen wären nur in friedlichen, lebensfreundlichen und egalitären Gesellschaften zu finden - doch wo gibt es diese? Schlechteste Bedingungen entdecken wir weltweit, überall da, wo Frauen unterdrückt oder als Objekte missbraucht werden...Frauenverachtung bzw. Menschenverachtung als familiäres und gesellschaftliches Grundkonzept kann verschiedene Formen annehmen - dazu mehr unter "Mütterleben heute".)

Zu 4. Zum Thema Loyalität hier eine etwas längere Ausführung:
Die Loyalität einer "guten Mutter" liegt im Zweifelsfall bei ihrem Kind, ihren Kindern, – es sei denn diese sind der Kindheit entwachsen und es ergeben sich Konflikte, welche die mütterliche Loyalität unmöglich machen – diesen seltenen Fall bitte ausgenommen.

Im Rahmen familiärer Erziehung ist es für das Selbstwertgefühl, vor allem des kleinen Kindes, hier der kleinen Tochter, sehr wichtig, die Mutter als verlässliche
und solidarische Person immer hinter sich zu wissen.
Damit meine ich nicht, dass die Mutter keine Grenzen setzt oder Regeln einfordert – dies ist sogar wichtig und notwendig.
Doch die Frage ist: Welche Grenzen, welche Regeln und zu wessen Nutzen?

Darüber wäre ein Buch zu schreiben – bitte schauen Sie auf die klugen Ausführungen in dem Buch "Was Kinderseelen brauchen" von Barbara Coloroso, in meiner Bücherliste zu finden.
Hier möchte ich nur Beispiele anführen, die im Alltag bezüglich Loyalität zwischen Mutter und Tochter relevant sind und dabei ist sehr wichtig: die gute, loyale Mutter lässt nicht zu, dass ihre Tochter – von wem auch immer – erniedrigt, beleidigt oder gar misshandelt wird.
Dies ist scheinbar selbstverständlich - doch es beginnt auch schon bei kleinen Dingen:
Wie gern erlauben sich Erwachsene Späße auf Kosten kleiner Kinder, ohne deren Würde zu achten? 
Die "gute Mutter" erkennt solche Situationen und schreitet ein – und zwar sofort!

Schon mehrfach hatte ich darüber Diskussionen mit Klientinnen, denen durch Erziehungsratgeber beigebracht wurde, nie in die Interaktion zwischen Vater und Kind einzugreifen – damit die "Autorität des Vaters nicht in Frage gestellt" werde!
Die "neuen Väter" sollen auf diese Weise Raum für ihre pädagogische Entwicklung bekommen und eine eigene Beziehung zu Kindern aufbauen – doch was, wenn da (noch) viele Defizite sind, welche u.a. durch das Geschlecht und durch geschlechtspezifische Verhaltensmuster entstanden sind? 
Darf jeder Vater an den Kindern Erziehung üben – ohne Eingriffe von außen?

Ich bin manchmal fassungslos, wenn ich auf diese Weise bemerke, wie einseitig sich moderne Pädagogen – immer noch – auf die Seite des Stärkeren stellen!
Und Kinder als "zu erziehende Objekte" angesehen werden!
Es kann nicht sein, dass weiterhin in Familien die regressiven (kindlichen) Bedürfnisse - dazu zähle ich auch das Bedürfnis nach Macht und vollständiger Kontrolle! -  von Erwachsenen - Vater, Mutter, Oma, Opa oder wem auch immer - Priorität haben vor dem kindlichen Schutzrecht, der kindlichen Würde, den kindlichen Grundbedürfnissen. 
Von den vielen Beispielen, die mir dazu bekannt sind, greife ich drei heraus:

1. Eine verunsicherte Patientin berichtete mir davon, dass in ihrer kleinen Familie oft Streit herrsche - ihr Mann unzufrieden mit der Tochter (12 Jahre), weil diese in letzter Zeit in der Schule schlechtere Leistungen zeige und außerdem dick geworden sei.
Er schimpfe und nörgele am Abendbrottisch so lange an der Tochter herum, bis diese in Tränen ausbreche oder aber ihn anschreie und weglaufe. 
Sie als Mutter habe oft den Impuls einzugreifen und die Tochter zu schützen, ihren Mann zu stoppen, aber bei der Erziehungsberatung, wo sie vor einiger Zeit deswegen schon Rat gesucht hatte (sie allein - ihr Mann wollte nicht mitgehen), habe man ihr gesagt, das sei eine Sache zwischen Vater und Tochter, sie solle sich da nicht einmischen.
Darum rede sie zwar hinterher allein mit ihrem Mann und bitte ihn, sich doch in Zukunft anders zu verhalten, aber niemals vor der Tochter. 
Und der Tochter sage sie dann oft hinterher: " Der Papa meint das nicht so." - um sie zu trösten - aber die Tochter verweigere ihr mittlerweile den Kontakt, schaue sie nicht an.
Ich erzählte der Patientin was ich davon halte: Es ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einer guten Mutter, in einem solchen Fall unverzüglich einzuschreiten und die destruktive Kommunikation des Vaters zu unterbinden!  Wenn er als Vater berechtigte Kritik an seiner Tochter hat, so ist es seine Aufgabe, dies in fürsorglicher, wohlwollender und freundlicher Weise auszudrücken. Solange es dies nicht kann oder nicht tun will,  braucht die Tochter Schutz vor seinen entwürdigenden Angriffen - und woher sollte dieser Schutz kommen, wenn nicht von der anwesenden Mutter?
Viele Frauen fürchten sich - oft zu Recht - vor Konflikten mit ihren männlichen Partnern - denn sie haben Angst vor dem Ärger und dem Liebesentzug, der ihnen dann droht.      Hier braucht es eine mutige Entscheidung von starken Müttern: "Was ist mir wichtiger: ein scheinheiliger Frieden mit einem Mann, der meine Tochter (und damit auch mich) verletzt - oder der Schutz meiner Tochter und die Loyalität unserer Bindung und Beziehung?" (Das ist seit Jahrhunderten eine zentrale Frage im Mutter-Tochter-Konflikt! Wem gehört unsere Loyalität? Wen lassen wir im Stich - und zu wessen Vorteil?)                Die Patientin in diesem Beispiel war durch unser Gespräch sehr erleichtert - das sei eigentlich auch genau das, was sie spüre und denke, aber sie habe sich halt nicht getraut, für ihre Tochter einzutreten - aus Angst etwas falsch zu machen.

2. Der bekannte und oft als Genie gelobte Regisseur Ingmar Bergman litt unter schweren psychischen Problemen (vor dem Hintergrund familiärer Gewalt in der Kindheit unter streng patriarchal-religiösen Verhältnissen; sein Vater war evangelischer Pastor). 

Seine viel jüngere Partnerin, die Schauspielerin Liv Ullmann, lebte eine Zeit lang mit der gemeinsamen kleinen Tochter bei ihm – in einem großen alten Haus mit vielen Zimmern und Fluren. Und dieser krankhaft eifersüchtige Vater/Partner verlangte, dass seine Frau bei ihm schlafe – und das nur wenige Monate alte Baby in einem anderen Zimmer, einem anderen Bereich des Gebäudes!
Von dort aus konnte die junge Mutter ihr Kind nicht einmal mehr hören! Voller – berechtigter – Zweifel und Ängste lag die junge Frau oft wach neben ihrem "Herrn und Meister" und horchte ängstlich in die Dunkelheit, da sie sich Sorgen um ihr kleines Baby machte. 
Doch es half nichts: Auch ihr war beigebracht worden, dass die (kindlichen) Bedürfnisse des Mannes im Zweifelsfall vorrangig sind – das Baby muss warten, verzichten, allein sein – ja selbst der Tod des Kindes hätte der Preis sein können – für ihre Loyalität mit dem psychisch gestörten erwachsenen Partner.

3. Ein weiteres typisches Beispiel entnehme ich einem medizinischen Ratgeber für Neurodermitis Patienten. Der wohlmeinende Arzt schrieb sinngemäß:
- Ein längerer Ferienaufenthalt am Meer ist für an Neurodermitis erkrankte Kinder meistens mit beträchtlichen und länger anhaltenden Heilungsprozessen verbunden.   Allerdings solle dabei auf die Ansprüche anderer Familienangehöriger Rücksicht genommen werden: "Ein grantelnder Vater, der lieber seinen Urlaub in den Bergen verbringen will, würde dem erhofften Heilungserfolg möglicherweise entgegen stehen."-

Können Sie sich an dieser Stelle vorstellen. "Eine grantelnde Mutter, die lieber ihren Urlaub in den Bergen...." ? Natürlich nicht. Der mütterliche Verzicht ist uns selbstverständlich und an dieser Stelle ja auch angebracht – der väterliche Verzicht ist nicht eingeplant! Mit ihm ist nicht selbstverständlich zu rechnen, sein "granteln" wird nicht als jämmerlicher Ausdruck kindischer Egozentrik verstanden, sondern als angemessenes Verhalten und "männliches Anrecht" ernst genommen...
Derart selbstverständlich war es früher und ist es teilweise noch heute, männlichen Bedürfnissen Priorität einzuräumen – anstatt von ihnen Verzicht zu erwarten.  

Eine Mutter ist jedoch natürlicherweise dazu da, ihr Kind zu schützen – genau das ist ihre zentrale Aufgabe, das meine ich mit mütterlicher Loyalität.
Sie muss nicht den Vater schützen – der ist ein erwachsener Mann und kann sich selbst schützen und für sich sorgen – oder sollte es lernen.
Ein Mann sollte nicht das pädagogische Projekt seiner Ehefrau sein – es ist das schutzbedürftige Kind, das jeder Zeit im Blick der Mutter sein muss.
Das gilt allerdings auch umgekehrt – eine inkompetente Mutter, die ihr Kind unangemessen behandelt, muss vom Vater/Außenstehenden daran gehindert werden!
Doch dieser Fall ist in Familien offensichtlich seltener – viele Mütter sind emotional -verständlicherweise - näher am Kind und seinen Bedürfnissen – und gerade dies, und die dadurch evt. auftretende Eifersucht des Vaters/Ehemannes, kann zu väterlichen Abwertungen, Kränkungen des Kindes führen. (siehe Ingmar Bergman)
(Vergleiche eine andere Konstellation im Artikel: Beispiel: Die destruktive Mutter und die Tochter als Sündenbock)

Was lernt eine Tochter über sich selbst und über ihre Mutter, wenn sie vom Vater ignoriert, beleidigt, abgewertet oder unangemessen bestraft** wird – und ihre Mutter schaut dabei zu, greift nicht ein und redet eventuell mit dem Vater erst hinterher, allein im stillen Kämmerlein, über sein Fehlverhalten?

Sie lernt, dass sie in den Augen der Mutter nicht wertvoll ist – zumindest nicht so wichtig und wertvoll, wie der Vater/Mann.
Sie lernt, dass ihre Mutter im Zweifelsfall sie im Stich lässt, sie allein lässt und sogar zuschaut,wenn ihr Unrecht getan wird – das ist grausam.

An dieser Stelle wird die Loyalität zwischen Mutter und Tochter – vielleicht erstmalig und frühzeitig – gebrochen zugunsten der Loyalität einer Ehefrau zu ihrem Mann. 
(An einem solchen Muster können patriarchale Zustände abgelesen werden)

In der Folge wird die Tochter sich von der Mutter enttäuscht zurück ziehen, sich in sich selbst zurück ziehen vielleicht – denn wenn sie schon ihrer Mutter nicht trauen kann – wem dann?
(Dies gilt im Zweifelsfall für Söhne ebenso, allerdings mit etwas anderen Konsequenzen, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen kann.)

In meinen Beispielen für verschiedene Muster in problematischen Mutter-Tochter-Beziehungen – in diesem Blog - finden Sie dieses Thema mehrfach wieder.

Zu 5. Lebenslange Bindung und Beziehung
Die Mutter-Tochter-Beziehungen ist von Natur aus – eigentlich - auf Dauer ausgelegt – das hat emotionale und praktische Gründe.

Emotional:
Warum sollten Mütter und Töchter sich voneinander entfernen, wenn sie eine gute Beziehung haben?
Warum sollten sie sich – durch große räumliche Distanz und auf Dauer - trennen wollen, wenn sie einander lieben?

Unter den optimalen Bedingungen (s.o.) von Selbstliebe, gegenseitiger Fürsorge, Loyalität, Raum für Entfaltung (d.h. auch: Eigenständigkeit), - gibt es keinen Grund für Mütter und Töchter, sich von einander emotional oder räumlich (weit) zu entfernen.
Denn beide profitieren enorm durch diese Beziehung.

Wir kennen in unserer Kultur nur das patriarchale Konzept: "Männer haben Vorrang" – zuerst hat der Ehemann/Vater für die Mutter den Vorrang vor ihrer Tochter.
Und in der Folge hat der neue Partner für die Tochter den Vorrang vor ihrer Mutter.    Etwas anderes können wir uns kaum vorstellen.
Betrachten wir all das Leid, das Müttern und Töchtern traditionell durch eine erzwungene Trennung immer wieder zugefügt wurde und wird – doch gehört gerade dies zum patriarchalen Konzept: denn die Trennung von Mutter und Tochter schwächt und verletzt beide – während ihre solidarische Verbindung beide stark macht/machen würde. ***          
In diesem Zusammenhang sehe ich übrigens auch unseren aktuellen emotionalen und sozialen Notstand der "Atomisierung" (nach Dr. Göttner-Abendroth) unserer Gesellschaft: durch die selbstverständliche Abwanderung zwecks Studium und Beruf werden auch heute wieder viele junge Frauen zu früh, zu lange und oft endgültig von ihren Müttern/Familien getrennt – oft zum Schaden der eigenen psychischen Stabilität und des stützenden familiären Zusammenhalts. Dazu mehr unter "Töchter heute".
Es gibt andere Konzepte für Mütter und Töchter – schauen Sie bitte nach unter Stichwort: "Matriarchat", dort erläutere ich dies ausführlicher.)

Praktisch: Die Mutter ist ihrer Tochter in ihrer Entwicklung und Lebenserfahrung immer um ca. 20 – 35 Jahre voraus – dieses Wissen der Mütter/Großmütter zu nutzen, und zwar in jeder Lebensphase, war das Geheimnis erfolgreichen Überlebens der Menschenfrauen bzw. der Menschheit von Anfang an!
Auch andere hoch entwickelte Säugetiere trennen sich selbst als weibliche Erwachsene nicht/oder selten von ihren Müttern und überlebten gerade dadurch als Gruppe und als Spezies.  
(Bisher – gegen die Waffen des homo sapiens ist aber leider kein Kraut gewachsen. Elefanten, teilweise Menschenaffen, Wale und Delphine, Wildschweine, Rehe, Hirsche, Pferde – um nur einige zu nennen, bilden Gruppen von Müttern, Tanten, Töchtern und Söhnen – während die erwachsenen Männchen entweder am Rand der Gruppe leben oder nur zu Besuch auftauchen.
In dieser schützenden Gruppe lernen die Jungtiere alles, was sie zum Überleben benötigen.
Das männliche Aggressionspotential und die Konkurrenz der Männchen untereinander würden die Mutter-Kind-Gruppe gefährden – darum entwickelten sich diese Regeln, welche die Schwächsten in der Gruppe – die Kinder – vor Gewalt schützen.
Bei uns Menschen - wir sind auch Säugetiere - wurde seit der patriarchalen Revolution (ab ca. 5000 v. u. Z. bis heute) die männlichen Interessen Scharmützel, Kämpfe und schließlich Kriege in den Mittelpunkt der Kultur gestellt - und alle anderen - Kinder, Mütter, Alte, Schwache - als "Minderheiten" an den Rand gedrängt - also eine Umkehrung gesunder Lebensverhältnisse! Das ist der Grund für die aktuelle Zerstörung unserer Lebensgrundlagen weltweit! Lesen Sie dazu "Der unerkannte Kern der Krise - die Moderne als ER-Schöpfung der Welt" von Prof. Dr. Claudia von Werlhof)

Sehen und hören wir uns das fortwährende Drama der männlichen Gewalt mitten in unserer Kultur, in unseren Familien, in unseren Ländern, auf dem Planeten an – so muss gesagt werden, dass es ein sozialer Irrtum höchsten Ausmaßes ist, wenn eine Kultur sich überwiegend an männlichen Bedürfnissen orientiert.

Wenn patriarchal-männliche Bedürfnisse im Mittelpunkt bzw. genauer lokalisiert: über der Gesellschaft stehen – dann hat diese Kultur auf Dauer verloren.
(Letztendlich wird unser Überleben als Menschheit davon abhängen, ob wir in der Lage sind, diesen fatalen, lebensfeindlichen Irrtum einzusehen – oder nicht.)

Natürlich gibt es beim Menschen, dem sozial flexibelsten Tier, viele unterschiedliche soziale Lebensformen – doch ist aus der Sicht des schutzbedürftigen Kindes die matriarchale – d.h. die mütterliche! - Kultur mit ihrem besonderen Respekt vor dem Kind und vor der Mutter-Tochter-Beziehung diejenige, in der Kinder am glücklichsten aufwachsen können.
Hier möchte ich zum Abschluss den Lakota***  Joseph Marshall III zitieren, der in seinem Buch "The Lakota Way" schreibt:
"Großmütter sind in jeder indigenen amerikanischen Kultur, und nicht zuletzt bei den Lakota, der Inbegriff aller Eigenschaften und Fähigkeiten, die wir versuchen zu erlernen und zu praktizieren." (Übersetzung A.B.)
Können Sie sich eine solche achtungsvolle und bewundernde Aussage gegenüber Großmüttern in unserer Kultur vorstellen?
Bei uns heißt es eher: "Das kannst Du Deiner Großmutter erzählen." - so als sei eine Großmutter das dümmste Wesen von der Welt.
Doch in einer Kultur, in der Weiblichkeit geachtet und geliebt und geschützt wird, ist 
gerade die ältere Frau/Mutter/Großmutter eine hoch geachtete Person – ihre Töchter (und oft auch die Söhne) bleiben in ihrer Nähe – weil es ihnen ein selbstverständliches Anliegen und Bedürfnis ist.
Und vor dem Hintergrund dieses tiefen Respekts wird in matriarchalen Kulturen Frauen jeder Generation - auch den Töchtern - ermöglicht und vermittelt was es heißt, anderen und sich selbst eine gute Mutter zu sein!
(Dies wird in matriarchalen Kulturen übrigens auch den Männern vermittelt - selbst wenn sie Krieger sind/sein müssen – ein guter Mann, Mensch, Anführer ist dort jemand, der sich "fürsorglich wie eine gute Mutter verhält" – würde dieses Prinzip auch bei uns gelten, wäre männliche Zerstörung, Willkür und Gewalt nicht mehr unser größtes Problem).

Fußnoten:
Vielleicht kennen Sie aus dem Geschichtsunterricht den Begriff  "Teile und herrsche" - ich nenne es "Spalte und herrsche"  - denn es geht dabei darum, eine Gruppe von Menschen zu spalten, zu trennen, um sie dadurch zu schwächen und besser beherrschen zu können. Genau dies wird auf Mutter-Tochter, Schwestern, Frauen im Patriarchat stets angewandt - erfolgreich, wie wir an den sog. "Zickenkriegen" überall sehen können...Gestärkt und betont wird hingegen die "Brüderlichkeit" unter Männern...)

** Ich lehne "Strafen" als Erziehungskonzept ab - die Vermittlung von "Konsequenz" oder "Folgen" ist mir lieber - siehe "Was Kinderseelen brauchen" von Barbara Coloroso

***Die Lakota sind ein matriarchal orientiertes indianisches Volk in den USA

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Anna Bach 2018
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