Beispiel: Die hilflose "Kind-Mutter" und ihre Tochter


Beispiel: Die hilflose „Kind-Mutter“ und ihre Tochter

Die Botschaft der „Kind-Mutter“ an ihre Tochter ist: „Ich, als Frau und Mutter, bin dennoch nur ein hilfloses Wesen – bitte versorge mich, sei für mich da, du bist (vielleicht) meine (einzige) Rettung“
Wie bereits erläutert, bemüht sich patriarchale Kultur - Religion, Sozialpolitik, Bildungspolitik, Gesetzgebung, Medien, Geschichtsschreibung, Philosophie - seit Jahrhunderten darum, Frauen unselbständig und dumm zu halten und sie – oft per Gesetz - ökonomisch und emotional in Abhängigkeit zu bringen und zu halten.
Ein Ergebnis dieser Bemühungen, ist unter anderem die sogenannte „erlernte Hilflosigkeit“, die überwiegend Frauen/Mütter (in gewisser Weise auch Männer, aber um die geht es hier nicht) lebenslang in einem Zustand der Unselbständigkeit, Selbstabwertung und Regression hielt/hält. 
Ich nenne besonders hilflose „Frauen mit kindlichem Gemüt“, wenn sie Mütter werden, hier eine „Kind-Mutter“.
Typisch für „Kind-Mütter“ ist, dass sie aufgrund ihrer Sozialisation (Entwicklung, Lebensgeschichte) besonders wenig Selbstvertrauen haben, sich als unzureichend, unfähig und nicht ohne Anleitung von außen lebensfähig erleben. 
Sie scheinen stets ängstlich bemüht, Personen zu finden, die sie „unter ihre Fittiche nehmen“. Oft sind sie bereit, im Austausch für diesen „Schutz“ - der häufig gar keiner ist! - alles zu tun, sich zu unterwerfen und selbst zu verleugnen.
Das Erleben von Hilflosigkeit ist bei diesen Müttern verbunden mit starken Ängsten und meistens auch mit emotionalem Mangel. Die Schwäche dieser Frauen ist begründet in einem Geflecht von fehlender (Mutter-)Liebe und mangelnder Förderung im Elternhaus bei häufig – aber nicht immer! - geringem Bildungsstand und zusätzlich einer Ausgrenzung im sozialen Umfeld. Manche von Ihnen haben zum Beispiel eine Förderschule oder Sonderschule nur deswegen besuchen müssen, weil Ihnen ständig gesagt wurde, sie seien dumm! Solche verbale Abwertung führt zu Versagensängsten und in der Folge davon zu tatsächlichem Versagen bei schulischen Leistungen. 
Und dies, obwohl diese Frauen keineswegs dumm waren/sind!
(Klientinnen, denen ich den Zusammenhang zwischen Angst/Panik und Konzentrationsstörungen erläutert hatte, waren oft sehr erleichtert. Und – oh Wunder! - gleich darauf stellten sie fest, dass sie sich besser konzentrieren und z.B. besser lesen konnten, als je zuvor. 
Und das nur, weil sie verstanden hatten: Ich bin nicht wirklich dumm, sondern das war nur eine gemeine Abwertung von anderen, die zu Konzentrationsstörungen geführt hat! Ich bin davon überzeugt, dass heute noch viele Kinder aus denselben Gründen in Förderschulen sitzen und dass diesen Kindern mit einer kindgerechten Psychotherapie und/oder einer Untersuchung der familiären Verhältnisse im Hinblick auf Gewalt besser geholfen wäre als mit reduziertem Lernstoff! 
Doch setzt unser System leider nicht immer da an, wo die Gewalt entsteht, sondern eher bei den Opfern, die „versagen“ oder „nicht funktionieren“)
In der Situation der „Kind-Mutter“ kommt hinzu – auch das ist typisch für die Schwächsten in unserer hierarchischen Gesellschaft – dass ihre Not und Ängstlichkeit immer wieder von anderen Menschen ausgenutzt wird und sie besonders häufig Opfer von (sexuellen) Gewalttaten wird. 
Daher sind viele „kindliche Mütter“ zusätzlich von posttraumatischen Belastungen betroffen. (Das Trauma kann natürlich auch die wesentliche Ursache für ein zunächst    als „kindisch“, hilflos und planlos wahr genommenes Verhalten einer Mutter sein.)
Im Umgang mit eigenen Kindern ist eine kindliche Mutter selbstverständlich unsicher, ängstlich, vermeidend und sieht womöglich überall Gefahren – während sie jedoch tatsächliche, echte Gefahren oft nicht erkennen kann. 
Wenn sie ihrem Kind überhaupt Regeln zeigt und Grenzen setzt, dann nicht ernsthaft. 
Sie spricht eventuell viele Verbote aus – allerdings ist die kindliche Mutter dann nicht in der Lage, diese Verbote auch mit Nachdruck durch zu setzen. 
Daher kommt es zu widersprüchlichen, das Kind verwirrende Aussagen. 
Beispielsweise ängstigt sich in einer Situation eine Kind-Mutter, weil ihre dreijährige Tochter auf eine Klettergerüst steigen möchte und sagt: „Nein, lass das, geh nicht da rauf“. Wenn die Tochter es aber dennoch tut, erfolgt keine weitere Reaktion der Mutter. Sie gibt, aufgrund der Überzeugung und der Erfahrung ihres ständigen eigenen Versagens und ihrer Hilflosigkeit, sofort wieder auf.
Kleine Töchter erfahren unter solchen Bedingungen, dass auf ihre Mutter wenig Verlass ist. Weder ihre Zuwendung noch ihr Erziehungsverhalten ist konsequent und zuverlässig. Das bedeutet einerseits einen gewissen Freiraum für die Tochter, die sich nicht an Grenzen halten muss, andererseits eine erhebliche Verunsicherung für das kleine Kind, welches ja Schutz und Grenzen durch eine erfahrene und fürsorgliche Mutter benötigt. 

Nicht selten übernimmt eine Tochter die Ängste ihrer Mutter, ohne recht zu wissen, wovor diese eigentlich Angst hat. 
An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass Kinder im Allgemeinen die Gefühle ihrer Mütter gut erspüren können. Das ist biologisch für kleine Kinder wichtig, um eine Einschätzung von Gefahren zu bekommen. „Wenn meine Mama Angst empfindet, muss hier wohl irgendwo Gefahr sein. Darum bleibe ich nahe bei ihr.“ Dieses Verhalten funktioniert bei anderen Säugetieren ebenso – und wir Menschen sind ja Säugetiere.
Wenn allerdings die Mutter ständig in Ängsten lebt, kann zweierlei passieren: entweder wird die kleine Tochter ebenfalls sehr ängstlich, traut sich nichts zu, vertraut auch anderen Menschen nicht und tut was kleine Kinder bei Gefahr instinktiv tun: Sie klammert besonders intensiv und mehr als üblich an ihrer Mutter.
(Hintergrund Pädagogik: Gerade dann, wenn eine Mutter besonders ängstlich, erschöpft, depressiv, aggressiv ist, beginnen kleine Kinder also um so mehr zu "klammern". 
Das ist ein gesunder kindlicher Instinkt!  
Da aber die Mutter ohnehin am Ende ihrer Kraft ist, kann sie das Klammern des Kindes nicht ertragen und schiebt oder schubst es weg oder beachtet es nicht. 
Dies führt dazu, dass das Kind noch stärker verunsichert wird – und noch stärker klammert!     
Ein Teufelskreis, den erschöpfte Mütter oft beschreiben, denen „alles zu viel“ geworden ist und die manchmal in ihrer Erschöpfung eine große Wut auf ihr Kind empfinden, ja vielleicht sogar denken: „Meine Tochter macht das extra! Eigentlich kann sie das schon allein! Sie will mich nur ärgern!“ Mütter in solchen Situationen sind nicht selten über sich selbst erschrocken, dass sie ihr Kind/ihre Kinder beinahe hassen und einfach „nicht mehr sehen“ wollen. 
Dass ihr Kind gerade deswegen so anhänglich ist, weil es die dramatische Situation der Mutter genau spürt und nicht anders reagieren kann, als reflexartig zu klammern, sagt diesen Müttern leider oft niemand... Hiermit ist es gesagt! 
Das Gute an der Sache ist: sobald die Mutter sich etwas entspannen kann – wozu meistens Hilfe von außen notwendig ist - , sich auch das Kind allmählich beruhigt – und der fatale Teufelskreis sich langsam auflösen kann ...)
Aus der permanent subjektiv empfundenen Gefahr* kann eine Lebensangst werden, welche Mutter und Tochter in einem Netz aus Sorge und Vermeidung verbindet und für immer in einer schwierigen Allianz zusammen schweißt... Durch eine solche Kindheit kann eine Tochter ein Leben lang auf ihre hilflose „Kind-Mutter“ fixiert bleiben, Beziehungen zur Außenwelt vermeiden oder zurückstellen, um auch als Erwachsene für ihre Mutter bis ins hohe Alter ausschließlich dazu sein und für sie zu sorgen. 
Am Ende dieses Kapitels beschreibe ich ein Beispiel für eine solche Konstellation.
(*Nicht zu vergessen: Es handelt sich zwar oft nicht um eine echte Gefahr in der Gegenwart – doch in der Vergangenheit dieser Mutter hat es stets eine echte Gefahr, z.B.  durch Gewalt, gegeben! Manchmal liegt das Trauma auch weiter zurück und hat vor allem die Großmutter getroffen – doch reinweg „erfunden“ und „nur fantasiert“ ist die Angst, die Mütter umtreibt, niemals. 
Siehe auch das Buch über sekundäres Trauma von Dr. Udo Baer und Dr. Gabriele Frick-Baer
 „Wie Traumata in die nächste Generation hinein wirken“)
Es gibt, wie gesagt, eine zweite Möglichkeit, wie eine kleine Tochter bei ständigen Ängsten ihrer Mutter reagieren kann: sie distanziert sich tapfer von den unklaren Ängsten ihrer Mutter und nutzt die Nischen, welche die mangelnde mütterliche Aufsicht und Grenzsetzung ihr bietet, um sich weiter zu entwickeln. 
Sie beginnt früh, für sich selbst zu sorgen und zu entscheiden und hat so die Chance, mit etwas Glück und ein klein wenig Hilfe von außen, sich eigenständiger zu entwickeln. 

Ungünstig ist es für eine solche Tochter, wenn sie das Gefühl „Angst“ nicht als solches definieren kann, weil es wie selbstverständlich immer vorhanden war, aber nie benannt wurde. Sie hat gelernt, dieses Gefühl zu ignorieren und nicht mehr als Warnung zu begreifen, weil es so oft bedeutungslos blieb. 
Doch ohne den Schutz einer gesunden Angst, die Teil unserer Instinkte ist, und einer durch Angst motivierten Vorsicht und Achtsamkeit als Selbstschutz, kann eine junge Frau in dieser gewaltbereiten und Frauen gegenüber häufig respektlosen Kultur rasch in Gefahr geraten und erheblichen Schaden nehmen. 
Daher ist die Tochter der „Kind-Mutter“ immer gefährdet, egal ob sie selbst überängstlich wird oder ob sie Ängste ignoriert. 
Auch die eher mutige Tochter wird ihre relativ selbständige Entwicklung wahrscheinlich dazu nutzen, nah bei der Kind-Mutter zu bleiben, um diese zu versorgen und zu beschützen. Wenn nicht aus eigener Angst, dann aus Angst um die Mutter. 
Es kann sich eine Kindheit entwickeln, in welcher die Tochter ständig das Gefühl hat, ihre Mutter vor irgendetwas retten zu müssen: vor unklaren Gefahren, vor anderen Personen, oder vor sich – der Mutter – selbst und ihrer destruktiven Selbstabwertung. 
Dies kann bis zu dramatischen Rettungsaktionen führen, wenn die Mutter sich ungeschickt verhält, sich von anderen Menschen missbrauchen lässt oder gar Suizid begehen möchte – und dabei kann es wieder starken Ängsten und primärer Traumatisierung dieser Tochter kommen.... 

(Ausgeprägte Beispiele für eine solche Entwicklung finden sich auch häufig bei Töchtern psychisch erkrankter bzw. suchtkranker Mütter.
So berichtete mir eine Klientin, dass sie im Alter von sechs Jahren für ihre alkoholkranke Mutter, welche bereits seit zwei Tagen betrunken und hilflos auf dem Sofa lag, Butterbrote schmierte. 
Voller – vielleicht berechtigter – Sorge um das Leben ihrer Mutter fütterte diese kleine Erstklässlerin ihre halb bewusstlose Mutter mit Brotstückchen, um nicht selbst verlassen und ohne Mutter leben zu müssen. 
Diese instinktive und im Prinzip gesunde Angst davor mutterlos - und damit hilflos - zurück zu bleiben und eventuell in der Folge selbst sterben zu müssen, treibt bereits sehr kleine Kinder dazu, zur „Mutter ihrer eigenen Mutter“ zu werden. Das wird in der Psychologie als „Parentisierung“ bezeichnet. Auch Jungen zeigen unter Umständen ein solches Verhalten.)
Nahe liegend ist, dass Töchter von Kind-Müttern schon früh Opfer aggressiver und böswilliger Männer werden können, weil ihre Mutter nicht in der Lage ist, sich fürsorgliche und respektvolle Partner zu suchen, sondern sich eher von dominanten und fordernden Männern einfangen lässt. 
Gewohnt, die Verantwortung für sich selbst an Andere abzugeben, kann eine solche Frau auch ihre Tochter häufig nicht ausreichend beschützen. 
Doch: Ich kenne allerdings auch Fälle, in denen vorherige Kind-Frauen durch die Entwicklung mütterlicher Instinkte zum Schutz ihrer Tochter (bzw. ihrer Kinder) über sich hinaus gewachsen sind. Sie begannen, ihre Kinder gegen übergriffige Personen zu schützen – ein Verhalten, dass sie zuvor für sich selbst nicht nutzen konnten, weil ihr Selbstwertgefühl zu schlecht und ihr mütterlicher Kampfgeist noch nicht erwacht war.  Mit etwas Unterstützung von außen – therapeutische Hilfen, Erziehungsberatung – kann eine solche Mutter ganz neue Wege einschlagen und ein besseres Leben für sich und ihr Kind gestalten. Leider gab es in früheren Generationen derartige Hilfen in der Regel nicht. Das sollten wir bei der Beurteilung unserer Mütter und Großmütter stets bedenken.
Doch an dieser Stelle bleibe ich beim Thema der ausgeprägt hilflosen Kind-Mutter: 
Ihre Instinktverletzung ist so weitreichend, dass sie Gefahren nicht bzw. nicht rechtzeitig erkennen kann und darum auch nicht bemerkt, wenn ein Mann – sei es der Kindsvater oder ein anderer Partner – ihre Hilflosigkeit und die kindliche Schwäche ihrer Tochter schamlos ausnutzt. 
Leider ist es wohl so, dass es Männer gibt, die gezielt nach solchen Frauen und ihren Töchtern Ausschau halten. 

(Hintergrund Medien im Patriarchat: 
Ich wiederhole mich an dieser Stelle, wenn ich sage, dass der ständige Konsum von Gewaltmedien Jungen und Männer de-sensibilisiert und geradezu anleitet, selbst Gewalt auszuüben. Die Propaganda für Frauenverachtung und Gewalt, der bereits Jungen ab ca. 12 Jahren und erwachsene Männer jeden Alters täglich (!!) ausgesetzt sind und eine m.E. krankhafte Vorstellung unserer Gesellschaft von dem, was „sexuelle Freizügigkeit“ bedeutet, drängt danach, im Alltag ausgelebt zu werden. 
Hinzu kommt, dass die Vergewaltigung von Frauen, Kindern und auch Männern durch autoritäre Männer (Familienangehörige, Vorgesetzte, Pädagogen, Lehrer, Priester) eine alte patriarchale Tradition ist, deren Wurzeln über 2000 Jahre alt sind... 
Vor diesem Hintergrund haben wir es weltweit mit immer neuen „Sexskandalen“ und Perversionen zu tun - müssen wir uns darüber noch wundern? 
Ohne die Entwicklung einer nicht-patriarchalen Kultur und - Erziehung können diese Umstände nicht geändert werden... 
Vor allem dann nicht, wenn profitgierige und skrupellose Medienmacher die Darstellungen von Gewalt bis ins Extrem steigern und den Konsum anheizen. Interessanterweise hat diese Entwicklung der Darstellung von zelebrierter Gewalt und Pornografie schon mit der Erfindung der Buchdrucks begonnen... Doch der Blick auf männliches Erleben und Hintergründe für Männerverhalten sollen hier nicht im Vordergrund stehen, kommen wir zurück zur weiblichen Perspektive des Geschehens.)
Manche kindliche Mutter ist durch ihren ausgeprägten Mangel an erfahrener Zuwendung glücklich darüber, nun eine Tochter zu haben, die ihr Liebe und Zärtlichkeit schenkt. 
Sie versorgt ihr Kind nach Kräften und bestem Wissen, und genießt – wenn sie körperlichen Kontakt zulassen kann – die Nähe und Wärme ihrer kleinen Tochter. Allerdings ist sie per Definition – sie ist ja selbst „Kind“ - nicht ausreichend in der Lage, sich auf die Bedürfnisse eines Kindes einzustellen oder für ihr Kind Verzicht zu leisten, denn auch ihre eigene, kindliche Bedürftigkeit verlangt Beachtung und Fürsorge. 
Und so kann es geschehen, dass in dieser Mutter-Kind-Beziehung die Egozentrik der Mutter im Vordergrund steht: es wird geschmust und gekuschelt, wenn Mama es braucht, es wird gegessen, wenn Mama Hunger hat, es wird gespielt, was Mama mag etc. 

(Hintergrund Sozialverhalten: Ein Verhalten, wird jetzt manche Leserin denken, das wir sonst häufig von gewissen Vätern kennen... Traditionell ist ja Patriarchat ein System der Männerverwöhnung und der männlichen Egozentrik – daher kennen viele Menschen aus ihrer Lebensgeschichte solches Verhalten von ihren Vätern – auch wenn diese keine „Kind-Väter“ im genannten Sinne waren...)
Es gibt für Kind-Mütter jedoch eine Instanz, die zumindest zeitweise über ihren eigenen Bedürfnissen stehen kann, deren Bedürfnisse noch wichtiger sein können: und das ist der oben erwähnte dominante, fordernde Partner. 
Betritt er die Bühne bzw. die Wohnung, richtet sie sich möglicherweise nach seinen Wünschen und Bedürfnissen und verlangt vielleicht auch von ihrer Tochter, dies zu tun. (ähnliches siehe auch unter „Submissive, unterwürfige Mutter“).
Gerät eine solche kindlich-bedürftige Mutter allerdings an einen Mann, der selbst fürsorglich und dominant-beschützend ist, vielleicht eine Art „Helfersyndrom“ auslebt, 
so kann es geschehen, dass er sich den Bedürfnissen der Kind-Mutter anpasst. 
Dann richtet auch er seine Aufmerksamkeit auf die schwache, eventuell auch leidende, ängstliche oder suchtkranke Partnerin und unterstellt sich selbst und das Kind/die Kinder in dieser Familie der Versorgung der Kind-Mutter. 
Diese Konstellation ist mir jedoch eher selten begegnet, während sich in Berichten häufiger das Modell einer „Kind-Mutter – dominanter Partner“- Familie abzeichnete.
Es gibt nicht wenige heute erwachsene Frauen, die als kleine Töchter ihre hilflose Mutter beraten, emotional und praktisch versorgen oder beschützen mussten. 
Kleine Mädchen, die versuchten, sich vor ihre Mutter zu stellen, wenn diese vom Vater beleidigt wurde oder die ihre Mutter trösteten, wenn diese – wieder einmal - von einem Partner verlassen wurde und sich wie ein verlorenes Kind in Panik und Selbstmitleid einhüllte....
Meine Mutter versuchte dann manchmal sich umzubringen; wir, meine Schwester und ich, wollten eigentlich keinen Mann mehr im Haus, aber unsere Mutter schleppte irgendwann wieder einen neuen Freund an, meinte, ohne ihn nicht leben zu können und drohte, sich umzubringen, wenn wir ihn nicht akzeptierten – also sagten wir, na gut, dann bring ihn doch mit....“ (Bericht einer Patientin)
Sicherlich ein extremes Beispiel, aber in männlich dominierten Kulturen, die schwache, unselbständige Kind-Mütter in großer Zahl hervor bringen, nicht selten.
Ich bemühe mich, Klientinnen, die solche Erfahrungen mit ihrer Mutter machten, die Lebenswelt ihrer Mutter verständlicher zu machen. 
Es ist unsere Kultur, nicht das Wesen der Mutterschaft, die Frauen zu kindlich-hilflosen und daher teils auch egozentrischen Müttern erzieht. 
Leider ist es auch Teil dieser Kultur, diese Tatsachen zu verschleiern und die Verantwortung allein den versagenden Müttern zu zuschieben. 
Und so neigen auch Töchter dazu, ihren Müttern allein die Schuld zu geben, wenn sie – die Mutter – von Männern geschlagen, misshandelt oder vergewaltigt wurde bzw. wenn die Mutter ihre Tochter vor solchen Gewalttaten nicht schützen konnte. 
Es ist eine Strategie patriarchaler Kultur, Frauen zu entsolidarisieren und gegen einander auszuspielen.  Der Vorwurf: "Sie hat ihr Kind nicht ausreichend geschützt." ist da ein typisches Beispiel - vor wem müssen Mütter ihre Kinder schützen und warum? - das wäre die Frage, die gestellt werden muss!
Es wird zwar mittlerweile öffentlich geredet über das sogenannte Problem der „Gewalt gegen Frauen“ - aber die sinnvollere Frage, die „Männerfrage“ unserer Kultur ist vielerorts noch Tabu : „Wer tut Frauen und Kindern Gewalt an und warum?“ und 
„Was tun wir bzw. der Staat gegen die Gewalt der Männer“ 
Diese Fragen passen nicht in unser Konzept, sie würden die patriarchale Welt auf den Kopf stellen, weil sie zeigen, wo das eigentliche Problem liegt.
Dieses Artikel soll Töchtern von Kind-Müttern eine Sichtweise ermöglichen, die das Verhalten ihrer Mutter vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund erklärbar und verständlich macht, damit neben Verständnis und Trauer evtl. auch Annäherung, Solidarität und Vergebung wieder möglich wird. 
Das bedeutet keinesfalls, dass nicht auch „Kind-Mütter“ gegebenenfalls Verantwortung für ihr Fehlverhalten oder gar kriminelle Handlungen übernehmen müssen. 
Und es bedeutet weder für Mütter noch für Töchter, dass es richtig sei,  in einer „Opferhaltung“ zu verharren – doch ursächliche Gewalt und ihre Folgen sollten als solche benannt und die Opfer durch die Erkenntnis ihrer Verbundenheit gestärkt werden!


Sinnvolle Fragen, falls sie Tochter einer solchen Mutter sind:
Warum wurde meine Mutter zur „Kind-Mutter“? 
Was war mit ihrer eigenen Mutter, meiner Großmutter?
Was ist mit meiner Mutter in der Kindheit geschehen, was ist ihr beigebracht worden? Wer hat sie erzogen und wie – mit welchen Regeln, Verboten, Strafen?
Durfte sie selbst Entscheidungen treffen? Von wem wurde sie gelobt oder abgewertet?
Und, falls Sie das wissen oder herausfinden können: Wie war es bei meiner Großmutter?!


Zum Abschluss zu dieser Beschreibung der „Kind-Mutter“ und ihrer Tochter noch ein konkretes Beispiel aus der Praxis: (Namen und Inhalte geändert!)

Eine Frau – ich nenne sie Birgit - klagte in der Beratung darüber, ein „Mobbingopfer“ zu sein. Auf der Arbeit. aber auch im privaten Umfeld, fühlte sie sich von anderen Menschen ungerecht behandelt, ausgenutzt und wenig anerkannt. 
Die Kolleginnen grenzten sie aus, die Bekannten im Turnverein tuschelten hinter ihrem Rücken, sagte sie. Dabei leistete sie stets gute Arbeit und die Vorgesetzten seien mit ihr zufrieden.
Bei der genaueren Betrachtung ihrer Lebensumstände und ihrer Vorgeschichte stellte sich heraus, dass Birgit eigentlich schon in der Kindheit „gemobbt“ wurde – und zwar von ihrem Vater und ihren Brüdern. 
Sie entstammte einer sehr konservativen und streng patriarchalen Familie – der Vater entschied autoritär über alles und die Mutter war ein ängstliches, eingeschüchtertes und zaghaftes Wesen, die niemals allein Entscheidungen traf und sich selbst für völlig unfähig und minderwertig hielt – eben eine Art „Kind-Mutter“. 
 „Marianne“ – die Mutter der Patientin – erledigte zwar brav den Haushalt für Mann und Kind, verließ aber fast nie das Haus, unterhielt keinerlei freundschaftliche Kontakte, hatte keine eigene Familie mehr und klammerte an ihrer Tochter als einziger Vertrauter. 
Wenn der Ehemann mit ihr schimpfte, duckte sie sich oder begann zu weinen. 

Erst wenn er außer Sichtweite war, beklagte sie sich bei ihrer Tochter über ihn und bedauerte ihr hartes Los als Ehefrau dieses Mannes. Einen Ausweg oder auch nur eine Veränderung ihrer Situation konnte sich diese hilflose Kind-Mutter nicht vorstellen. Schließlich glaubte sie, ihm dankbar sein zu müssen – denn sie war ohne Eltern in einem Kinderheim aufgewachsen und ihr Ehemann - „Franz“ - hatte sie dort „rausgeholt“ und geheiratet. Damals – 1954 - war sie 18 Jahre gewesen und er 36.
Tochter Birgit stellte sich als kleines Mädchen instinktiv und tapfer gegen den Vater, um ihre Mutter zu beschützen. Doch während er das zunächst tolerierte, erfuhr sie bereits ab dem Kindergartenalter seine Strenge – verbale Abwertung, Drohungen und Schläge mit der Rute. 
Seine Abwertung gegen Frau und Tochter war ausdrücklich auch frauenfeindlich betont. So ertrug er es niemals, wenn seiner Frau oder der Tochter etwas gut gelang, bei jeder Gelegenheit betonte er die „Dummheit der Weiber“. 
Birgit erinnerte sich besonders an eine Situation: Die Lehrerin hatte sie für eine Schularbeit besonders gelobt und eine „1+ !„ mit Ausrufungszeichen in ihr Heft geschrieben. 
Als sie diese Arbeit dem Vater zur Unterschrift vorlegte, lief er rot an, schrie: 
„So ein Quatsch, Du bist ein dummes Mädchen, Du kannst das nicht“ und verkrakelte mit einem Stift wütend das Schulheft. Die Mutter saß weinend dabei. 
Für ihre Lehrerin musste sich Birgit eine Ausrede einfallen lassen, denn die reale Situation zu erklären getraute sie sich nicht. Und auch ihre Mutter flüsterte: „Erzähl das niemandem, das gibt nur Ärger“.
Die Brüder haben sich immer fein raus gehalten“, sagte Birgit später, „die waren froh, wenn sie selbst keine Prügel abbekamen. Und dann haben sie die Mutter auch verachtet, weil sie so ein schwaches Weib war. Später haben sie sich alle nicht mehr um uns gekümmert.“
In der Schule fiel Birgit durch ihr sozial ängstliches und ungeschicktes Verhalten auf – was von einigen Kindern und LehrerInnen prompt ausgenutzt wurde, um sich über „das Tramperl“ lustig zu machen.
Diese häusliche und gesellschaftliche Situation erweckte in der kleinen Birgit – verständlicherweise – ein Misstrauen gegen die gefährliche Welt und sie suchte Halt durch eine sehr enge Verbindung zu ihrer verängstigten und geschwächten Mutter.
Sie verließ ihre Mutter nach dem Tod des Vaters und nach dem Auszug der Brüder niemals und lebte mit ihr zusammen – in einer eigenen kleinen Welt, voller Ängste.
Vor diesem Hintergrund blieb Birgit auch als Erwachsene, im Beruf und im sozialen Umfeld, sehr verschlossen und zurückhaltend. 
Sie vermutete oft hinter dem Verhalten anderer Menschen eine schlechte Absicht und erwartete ständig, ausgegrenzt und ausgelacht zu werden. Sobald sie sich tatsächlich ungerecht behandelt fühlte, wehrte sie sich mit dem aggressiven und abwertenden Ton, den ihr Vater immer angeschlagen hatte – ein anderes Verteidigungsverhalten kannte sie ja nicht! 
Durch ihr starkes Misstrauen und die schlechten Erfahrungen, die sie gemacht hatte und immer wieder machte, begegnete sie jedem Menschen mit Skepsis – und zunehmend auch mit heimlichem Hass und Verachtung. 
 Diese Gefühle sind als Folge der erlebten Gewalt nachvollziehbar – doch trafen sie dann auch völlig unbeteiligte Personen – und wurden von diesen ganz richtig als Aggression verstanden.
Birgit erlebte sich – zunächst zu Recht – als ein Opfer dieser Gesellschaft.  
Sie bemerkte nicht, dass sie später zunehmend selbst dazu beitrug, ein Opfer zu bleiben. Und sie bemerkte ebenfalls nicht, dass auch sie zu anderen Menschen ungerecht und hart wurde – und somit ebenfalls zur „Täterin“.
Eine Beratung/Therapie ist in solchen Fällen nicht selten schwierig – die betroffenen Personen erleben sich nur als Opfer und können ihre eigenen Anteile am sozialen Geschehen in der Gegenwart zunächst nicht wahrnehmen. Es braucht eine geduldige und behutsame Annäherung und zunächst eine Wertschätzung und Heilung der tiefen Kränkungen. Erst wenn der Zustand des Opfers gewürdigt wurde, können nach und nach auch die Schattenseiten des eigenen Erlebens angeschaut werden.
In diesem Fall führte also die Konstellation einer „Kind-Mutter“ mit einem aggressiven Partner zu einer langfristigen Verletzung und Schädigung der Tochter, die nicht in die Lage versetzt wurde, ein freies und gesundes Leben zu führen. 
Das Thema „Schuld“ zu diskutieren wäre nun nahe liegend, doch möchte ich an dieser Stelle darauf verzichten – lesen Sie dazu meine Zusammenfassung „Mütterleben damals und heute“ in diesem Blog.

Bitte hinterlassen Sie mir nach dem Lesen gern einen Hinweis auf Ihre Reaktion - sowohl Lob als auch konstruktive Kritik nehme ich gern entgegen!




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